Total verrückt, oder doch einfach mutig? Ich weiss es nicht. Auf alle Fälle habe ich es getan. Ich bin mit Odin ganz alleine von Fairbanks 495 Meilen (796 km) durch die Wildnis in den Norden nach Deadhorse gefahren. Mein Ziel war es, meine Füsse im Arktischen Meer zu baden. So nahm ein weiteres Abenteuer seinen Lauf…
Die längsten 30 Meilen meines Lebens
Motorengeräusche weckten mich am nächsten Morgen. Die Motorrad-Gruppe machte sich auf den Weg zurück nach Fairbanks. Ich verabschiedete mich von den Solomon und den anderen Männern und widmete mich meinem Tagesziel. Eigentlich war es viel mehr als ein Tagesziel. Es war ein fett unterstrichener Punkt auf meiner „Bucket List„.
Ich kann mich nicht mehr genau erinnern, aber vermutlich waren es um die 4 Stunden, die ich für die 139 Meilen (222 km) brauchte, um vom Galbraith Lake nach Deadhorse zu fahren. Es regnete stark und die Strassenverhältnisse wurden zunehmend prekärer. An vereinzelten Stellen hatte der Regen die Strasse sogar überschwemmt. Das war definitiv nichts für mich und meine Nerven. Doch mit einem angepassten Fahrtempo war es doch machbar. Nach einer Weile hörte es sogar auf zu regnen und die Sicht auf die Strasse wurde besser.
Doch die grosse Herausforderung stand mir noch bevor. Etwa 30 Meilen vor Deadhorse begann eine grosse Baustelle, die bis fast nach Deadhorse ging. Sie hatten die Kiesstrasse mit grossen Maschinen aufgerissen und so musste ich im tiefem Kies und Schlamm dem „Pilot Car“ nachfahren. Vor mir hatte ich noch zwei Motorradfahrer.

Während der letzten Etappe nach Deadhorse
Das Steuern war fast nicht möglich. Und mein Odin bahnte sich irgendwie selbständig einen Weg durch den Kies, ohne dass ich irgend einen Einfluss darauf gehabt hätte. Diese Tatsache machte mir so richtig Angst und liess Panik in mir aufkommen. Immer wieder sagte ich zu mir, dass ich diese Strasse NIE mehr befahren werde.
Auch der „Pilot Car“ schien seine Mühe zu haben und schlitterte dahin. Und die Motorradfahrer? Ich hätte beinahe einen der beiden überfahren, als er kurz vor dem Stürzen war und sich dann doch noch fangen konnte. Zwischen beten und fluchen (normalerweise tue ich weder das eine noch das andere) brachte ich die Meilen hinter mich.
Der häufigste Grund für die Baustellen auf dem Dalton Highway war, dass sie grosse Isolationsplatten unter den Dalton Highway legen wollten, um Strassenschäden durch das Auftauen und Einfrieren des Permafrost-Bodens, auf dem der Dalton Highway gebaut ist, in Zukunft zu vermeiden. Dieses Projekt befand sich aber noch in der Testphase und der Dalton Highway wurde für diese Testphase ausgesucht. Das zumindest erzählte mir jemand, während dem Warten an einer Baustelle.

Mit Doppel-Lastwagen werden die Isolierplatten transportiert
Schliesslich war das Ende der Baustelle in Sicht und ich atmete auf. Erst dann bemerkte ich, dass sich die Wolken am Himmel so langsam verzogen haben und blauer Himmel zum Vorschein kam. Kurze Zeit später traf ich bei Sonnenschein in Deadhorse ein und konnte es noch gar nicht glauben, es geschafft zu haben.
Tote Hose in Deadhorse
Ich parkte Odin und checkte im Aurora Hotel ein. Ich kam gerade rechtzeitig, für das Mittagessen. Ein riesiges Buffet mit extrem leckerem Essen wartete auf mich.

Es ist geschafft, Ankunft in Deadhorse
Etwas später ging ich los, um mich etwas in Deadhorse umzuschauen und mir einen Bärenspray kaufen zu gehen. Schnell stellte ich fest, dass es da nicht viel zu sehen gibt. Deadhorse ist in erster Linie nur dazu da, die Arbeiter vom Ölfeld zu versorgen. Im Generalstore fand ich meinen Bärenspray. Ausser dem Generalstore, den Hotels und den beiden Tankstellen, waren da nur Gebäude für die Ölindustrie und irgendwelche Lager.

Umgebung in Deadhorse
Deadhorse ist keine wirkliche Ortschaft. Hier befinden sich Camps, die für die Arbeiter des Ölfeldes erbaut wurden. Die Arbeiter leben in Deadhorse für einige Wochen und arbeiten zwischen 12 bis 14 Stunden täglich, ohne freie Tage und fliegen anschliessend wieder nach Hause, wo sie einige Wochen frei haben, bis sie wieder zurück ins Camp gehen. Man sucht in Deadhorse also vergeblich nach Unterhaltung.
So zog ich mich ins Hotel zurück und erfreute mich am Essen und am Internet. Ich erhoffte mir, nachts die Mitternachtssonne zu sehen, da das Wetter schön war. Doch im Verlaufe des Abends zogen die Wolken wieder auf und es begann zu regnen.
Hallo Arktisches Meer
Endlich war es so weit und ich konnte mit dem Bus und einigen anderen Touristen zum Arktischen Meer fahren. Dabei durchquerten wir das Ölfeld und unser Fahrer erklärte uns einige Dinge zum Ölfeld und deren Industrie.
Schliesslich erreichten wir das Ufer des Arktischen Meeres und stiegen aus. Ich ging zum äusserten Punkt den ich erreichen konnte und liess meinen Blick über das stürmische Meer schweifen. Wow, da war ich nun… Das konnte ich in diesem Moment gar nicht wirklich glauben. Ich zog meine Schuhe und Socken aus und machte ein paar Schritte ins Meer. Wie vermutet, war es ziemlich kalt und ich konnte kurze Zeit später meine Füsse nicht mehr fühlen. Aber es war ein tolles Erlebnis! So lange schon wollte ich es einmal tun und nun hatte ich die Gelegenheit.

Meine Füsse im Arktischen Meer
Und wieder zurück nach Fairbanks
Nach der Tour zum Arktischen Meer musste ich mich leider wieder dem Rückweg stellen. Die Baustelle hatte sich nicht wie ersehnt in Luft aufgelöst und so musste ich da halt wieder durch. Den Abend verbrachte ich dann ohne jegliche Gesellschaft nochmals beim Galbraith Lake.
Am Morgen darauf, wurde ich von Schneeflocken begrüsst, als ich aus dem Fenster schaute. Es war eisig kalt und ich schaffte es fast nicht, mich von meinem wunderbar warmen Schlafsack zu trennen und aufzustehen. Auch bereite mir der Schnee etwas sorge, da ich wieder den Atigun Pass überwinden musste. Doch der Schnee blieb nicht und beeinträchtigte das Fahren somit auch nicht.

Schnee im Juli
Ich war ziemlich erleichtert, als ich den Atigunpass überwunden hatte und mich wieder auf der angenehmen (Vor-dem-Atigun-Pass) Seite befand.
Ich entspannte mich etwas und konnte das Autofahren wieder geniessen. Jetzt, da man ja alles schon einmal gesehen hat, schien das ganze Unterfangen gar nicht mehr so schwierig zu sein. Ich schob nicht mehr bei jedem Schlagloch Panik, weil ich davon ja einen Platten bekommen haben könnte. Wenn die vorbeifahrenden Lastwagen mir Steine and die Scheiben donnerten, nahm ich dies auch viel gelassener. Und die schwierigen Kurven kannte ich bereits und bereitete mich dem entsprechend darauf vor.
Vergebens versuchte ich, Tiere zu erspähen. Aber Auto fahren und nach Wildtieren Ausschau halten, war für mich nicht wirklich machbar. Deshalb musste ich mich mit einem einzigen Bären zufrieden geben.
Die Zeit während dem Fahren
Viele fragen sich wohl, was man während so langen Fahrten, so ganz alleine macht. Die Vorstellung von vielen ist, dass das ziemlich langweilig, eintönig und einsam ist. Naja, wenn ich so zurück denke, dann habe ich auf der „Vorher-Seite“ des Atigun Passes hauptsächlich zwei Dinge getan, nämlich lauthals und mit voller Inbrunst meine Playlist rauf und runter gesungen und wenn ich nicht gesungen habe, dann habe ich nachgedacht. Manchmal habe ich auch beides gleichzeitig getan.

Mein Schlafplatz
Wie sich das angehört haben muss, können sich die Leute, die mich schon singen gehört haben, bestimmt vorstellen. Schrecklich. Ich weiss auch nicht, wie das mein armer Odin aushalten konnte. Aber es hat Spass gemacht. Einfach etwas tun oder lassen zu können, ohne darüber nachdenken zu müssen, was andere darüber denken, war für mich Freiheit pur.
Und wenn man keinen Grund hat um darüber nach zu denken, was andere denken, dann kann man richtig gut über die wichtigen Dinge des Lebens nachdenken. Wieso ist die Welt so wie sie ist? Was trage ich dazu bei, dass die Welt so ist wie sie ist? Wie um Himmels Willen ist es möglich, dass die Amerikaner einen wie Trump oder eine wie Clinton als Präsident/in überhaupt in Erwägung ziehen können? Solche Fragen und noch viele mehr hatte ich in meinem Kopf und natürlich auch Antworten dazu, die vermutlich nur für mich so stimmen.

Ein weiteres Foto vom Dalton Highway
Aber zu einer Erkenntnis bin ich ganz bestimmt gekommen, nämlich dass ich ein Glückspilz bin und für jeden Moment und jede Chance, die sich auf meiner Reise bieten, dankbar sein sollte. Ja, Reisen ist toll, erweitert den eigenen Horizont, schafft Toleranz und macht glücklich. Würden sich noch mehr Menschen dieser Welt auf das Reisen einlassen, dann wären wir wohl um einige Probleme ärmer und Lösungen reicher…
Das wäre meine Geschichte vom Dalton Highway gewesen. Da gäbe es noch so viel mehr zu erzählen. Aber das würde wohl den Rahmen sprengen. Ich kann es irgendwie noch immer nicht glauben, was ich da alles erlebt hatte. Das eine führte zum anderen und mir wurde so richtig bewusst, dass man früher oder später genau das zurück bekommt, was man gibt.
Als ich auf Solomon getroffen bin, habe ich ihn ermutigt, weiter zu fahren. Das wiederum führte dazu, dass ich ihm und den anderen Motorradfahrern beim Galbraith Lake wider begegnet war, nachdem ich auf ungeschickte Weise meinen Bärenspray verloren hatte. An diesem Abend kontrollierten alle Motorradfahrer den Ölstand ihrer Maschinen und stellten fest, dass sie etwas zu wenig Motoröl mitgenommen hatte. So wurde ich mein ganzes vorrätige Motoröl los, was nicht weiter schlimm war, da ich kurz davor sowieso einen Ölwechsel machen liess.
Die Tatsache, dass ich keinen Unfall und auch keine defekte Autoreifen auf dem Dalton Highway erlitt und sogar den coolen Motorradfahrern helfen konnte, führte im Nachfolgenden dazu, dass ich äusserst euphorisch und ziemlich gedankenlos eine andere Strasse (Denali Highway) entlang fuhr und dabei gleich zwei kaputte Reifen auf einmal hatte. Daraus wiederum resultierte eine Begegnung mit wunderbaren Leuten, die mich ganz spontan zu sich nach Hause einluden und mir eine total verrückte 1. Augustfeier mit Reality-TV-Stars von Alaska bescherten. Aber dazu werde ich dir in einem weiteren Beitrag näher berichten;).