So schön Tansania auch ist, gibt es immer wieder schwierige Momente, in denen die Armut in Tansania zum Vorschein kommt. Ich kann mich noch gut daran erinnern, als mir die Komplexität der Armut in Tansania das erste Mal so richtig bewusst wurde. Am Besten, ich erzähle dir diese Geschichte.
Ich besuchte mit Sr. Blasia und Physiotherapeuten Theresia, eine gelähmte Frau, im Busch, um zu sehen wie es ihr geht. Als ich aus dem Auto stieg, stand da ein 3-jähriges Mädchen mit Fliegen im Gesicht, weil ihr ganzes Gesicht mit Nasensekret verschmiert war. Sie war von Kopf bis Fuss schmutzig. Die Kleidung war zerrissen und schien seit Wochen nicht mehr gewaschen worden zu sein. Sie hätte das perfekte Sujet für ein Bettelbrief einer Hilfsorganisation sein können. Nur schon diese Tatsache machte mich traurig.
Instinktiv wischte ich ihr die Fliegen aus dem Gesicht. Das mach ich immer, wenn mir Kinder mit Fliegen im Gesicht begegnen. Das bringt eigentlich nichts, die Fliegen sitzen einige Sekunden später sowieso wieder am selben Ort. Dennoch scheint es mir eine nette Geste zu sein.
Das Mädchen lächelte mich an, nahm meine Hand und führte mich dann zu den anderen in die herunter gekommene Lehmhütte. Darin befand sich Theresia und die Mutter des Mädchens, welche sich um Theresia kümmerte. Theresia lag im Bett. Die Physiotherapeutin hat bereits damit begonnen, den beiden Frauen einige Übungen zu zeigen, um Kontrakturen an den gelähmten Beinen von Theresia vorzubeugen. Die Mutter des Mädchens war abgemagert und hatte eingefallene Wangenknochen. Sie sah nicht gesund aus. Ihr Anblick erinnerte mich an eine Aidskranke. Es ist wohl nicht auszuschliessen, dass sie den Virus auch tatsächlich in sich trägt. Auf ihrem Schoss sass ihr Säugling, nur in einem schmutzigen T-Shirt gekleidet.
Tiefe Betroffenheit machte sich bei mir breit. Ich fragte Sr. Blasia, ob man der Familie nicht mehr finanzielle Mittel, Kleider oder irgend etwas anderes zur Verfügung stellen könnte. Sr. Blasia hatte der Familie bereits das Blechdach für die Lehmhütte und einen Rollstuhl für Theresia finanziert. Sr. Blasia erklärte mir dann, dass der Vater der Kinder alkoholabhängig sei. Man müsse mit „Hilfeleistungen“ vorsichtig umgehen, da man damit rechnen muss, mehr die Sucht des Vaters zu unterstützen als in ingend einer Form der Familie zu helfen.Darauf hin verliess ich die Hütte. Die Frauen freuten sich sichtlich über unseren Besuch und waren sehr dankbar. Ich wollte niemandem diesen positiven Moment mit meiner Betroffenheit vermiesen.
Das Mädchen folgte mir nach drausen. Während ich dem ältern Bruder des Mädchens dabei zusah, wie er gerade eine Kuh schlug (dabei sollte er zu diesem Zeitpunkt eigentlich in der Schule sein), lehnte sich das Mädchen an meine Beine. Ich begann ihren Kopf zu streicheln und meine Gedanken zu ordnen.
Der Täufelskreis namens Armut
Geschichten wie diese, gibt es in Tansania jeden Tag aufs Neue zu erzählen. Es sind Geschichten, die mich betroffen, fassungslos und ratlos machen. Dabei stellt sich mir immer wieder die Frage, wieso die Armut in Tansania so ist, wie sie ist und weshalb sich diese nicht so leicht bekämpfen lässt. Mittlerweile habe ich einige Antworten darauf gefunden. Es ist ein Täufelskreis, das eine führt zum anderen und viele Tansanier haben noch immer keinen Weg gefunden, diesen Teufelskreis zu durchbrechen.
Natürlich sind nicht alle Tansanier arm. Und nicht alle armen Tansanier sind aus den gleichen Gründen arm. In Armut zu leben, bedeutet auch nicht, in jedem Fall ein schlechtes Leben zu haben. Es sind mir wohl gleich viele arme Menschen begegnet, welche an der Armut zerbrechen, wie Menschen, die arm und zufrieden sind.Nachfolgend erläutere ich einige Ursachen, welche zur Armut in Tansania beitragen.
Fehlende Schulbildung
Ich denke, die Armut ist in meiner Gegend so verbreitet, weil viele Einheimische bereits als Kinder in ärmlichen Verhältnissen aufgewachsen sind. In der Gegend von Rhotia leben hauptsächlich Bauernfamilien. Die Familie ernährt sich von ihrem Acker und einigen Kühen, Schafen, Ziegen und Hühnern. Die Arbeit auf dem Feld ist hart und die Tiere können nicht sich selbst überlassen werden. Die Kinder müssen bereits in jungen Jahren mitanpacken. Sie helfen auf den Feldern und hüten die Tiere. Da bleibt keine Zeit für die Schule. Da sie nicht zur Schule gegangen sind, bleibt ihnen auch nichts anderes übrig, als später in die Fussstampfen ihrer Eltern zu treten und sich mit Ackerbau und Vieh über Wasser zu halten. So zieht es sich von Generation zu Generation, dass die gesamte Familie ungebildet ist und bleibt.
Die Tatsache, dass diese Leute nicht zur Schule gegangen sind, führt zu weiteren Problemen. Es fehlt den Menschen an Allgemeinbildung und der Fähigkeit, sich über Dinge zu informieren und sich eine eigene Meinung zu bilden. Das macht sie abhängig von anderen Menschen und empfänglich für Quaksalberei.Durch die fehlende Schulbildung wissen viele Menschen nicht, sie glauben. Und dieser Glaube ist meistens sehr stark. Es ist echt fürchterlich anzuschauen, was für einen Blödsinn zum Beispiel ein „Priester“ erzählen kann, um den Leuten das Geld abzuknöpfen. So kommt es auch, dass viele Leute beten, um eine Arbeit zu finden. Sie würden nicht auf die Idee kommen, aktiv einen Job suchen zu gehen. Sie sitzen da und beten. Den ganzen Tag. Egal was für ein Problem es ist, beten scheint die einzige Lösung für ihre Probleme zu sein.
Mit der fehlenden Schulbildung geht auch das fehlende Verständnis für Gesundheit und Krankheit einher. Noch immer sind Krankheiten wie HIV oder Tuberkulose weit verbreitet. Bei medizinischen Problemen warten viele Einheimische oft zu lange, bis sie einen Arzt aufsuchen. Der Zusammenhang von Ursache, Wirkung und Behandlung ist für viele schwer verständlich und der Begriff Prävention bedeutungslos. So kommt es, dass Familienmitglieder, welche für die Versorgung der gesamten Familie zuständig sind, sterben. Zurück bleibt eine in Armut lebende, oftmals kinderreiche, Familie.Ein Stück tansanische Mentalität
Eine weitere Ursache für die Verbreitung von Armut in Tansania ist vermutlich auch die Haltung, welche viele Leute haben. Tansanier leben im Moment. Es scheint vielen schwer zu fallen, die Vergangenheit zu reflektieren oder vorausschauend zu denken und damit Risiken einzuschätzen. Dies führt zum Beispiel zu Fehlinvestitionen, aber auch zu schweren Verkehrsunfällen oder anderen schlimmen Ereignissen. Ist die Katastrophe passiert, ist es in den Augen vieler Tansanier Gottes Wille gewesen. Das zeigt auch, dass kaum Eigenverantwortung bei diesen Personen vorhanden ist. Durch diese Denkweise bleibt nur wenig bis gar kein Platz für Entwicklung und für das Lernen aus Fehlern.
Alkohol und Gewalt
Ein weiteres Thema, welche das Problem Armut in Tansania verschärft, ist der missbräuchliche Umgang mit Alkohol. Er dient einigen Menschen wohl eher der Problembewältigung und nicht als Genussmittel. Oft werde ich von Betrunkenen angepöbelt oder ich sehe sie auf der Strasse herum torkeln.
Im Zusammenhang mit Alkohol spielt auch oft Gewalt eine Rolle. Noch nie in meinem Leben bin ich mit so viel Gewalt konfrontiert worden. Ist da eine Männer-Gruppe, schlagen sie einen einzelnen Mann zusammen. Der Ehemann schlägt seine Frau. Die Mutter verprügelt ihr Kind mit einem Stock. Kinder schlagen mit ihrer ganzen Körperkraft auf eine Kuh, den Esel oder die Ziege ein.
Das tansanische Gesetz erlaubt das Schlagen von Kindern. So lernen viele Leute hier bereits von Kindesbeinen an, dass es ganz normal ist, Schwächere zu schlagen. Dies ist bestimmt nicht gut für das Selbstwertgefühl und die weitere Entwicklung dieser Kinder.
Und andere Gründe
So könnten meine Aufzählungen vermutlich noch lange weiter gehen. Natürlich gibt es auch Gründe für die Armut, welche die Einheimischen selber nicht wirklich beeinflussen können. Zum Beispiel wäre da das unglaublich schlechte Schulsystem und Korruption, welche definitiv der Regierung zu Lasten gelegt werden kann. Und auch die Trockhenheit und der damit einhergehende Wassermangel kann die lokale Bevölkerung nicht beeinflussen.
Nicht alle befinden sich im gleichen Topf
Es gibt bestimmt auch die Menschen in Tansania, welche mehr oder weniger mit den oben erwähnten Punkten leben und trotzdem nicht an Armut leiden. Auch ist zu sagen, dass es in Tansania ebenfalls viele innovative und erfolgreiche Leute gibt, auf die mein jetzig beschriebenes Bild in keinster Weise zutrifft. Es wäre also definitv falsch, alle Menschen in Tansania in einen Topf zu werfen.
Über eine längere Zeit hier zu sein, bedeutet auch, sich mit den Schattenseiten Tansanias konfrontiert zu sehen. Dies ist für mich nicht immer leicht zu ertragen, besonders dann wenn Kinder involviert sind. Aber diese Erfahrungen lassen mich auch unglaublich viel lernen und stärken bestimmt auch meine Persönlichkeit.
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