Ein bewegender Tag auf der Gebärabteilung

Für mich als Pflegefachfrau, welche auf der Neonatologie gearbeitet hatte, ist der Einblick in eine tansanische Gebärabteilung natürlich sehr spannend. Ein Tag ist mir besonder in Erinnerung geblieben. An diesem Tag wurde mir wieder einmal bewusst, wie nahe Freud und Leid in meinem Beruf beieinander sein kann.

Eine schmerzhafte Geduldsprobe

Am Vorabend ist Blandina mit Wehen zu uns auf die Gebärabteilung gekommen. Die nächtliche gynäkologische Untersuchung hatte ergeben, dass Blandina’s Muttermund bereits 6 cm geöffnet war. Im Verlauf der Nacht hatte Blandina Wehen. Jedoch waren diese zu schwach und der Muttermund hatte sich nicht weiter geöffnet. Blandina erhielt zur Unterstuetzung der Wehen anschliessend Oxytocin i.v.

Jetzt, morgens um 10 Uhr, liegt Blandina mit schmerzverzerrtem Gesicht in ihrem Bett. Ungefähr alle 15 Minuten wird sie von Wehen heimgesucht. Blandina’s Schwägerin ist bei ihr. In Tansania ist Gebären reine Frauensache. Drausen warten noch weitere weibliche Familienmitglieder, welche zur Unterstützung angereist sind.

Blandina ist übel und ihre Schwägerin reicht ihr gerade noch rechtzeitig ein Becken, bevor sie erbricht. Es scheint Blandina wieder etwas besser zu gehen. Der leitende Arzt, Dr. Lema, betritt das Zimmer. Er bittet mich, den Blutdruck von Blandina zu messen. Ich messe 120/70 mmHg, also ist der Blutdruck in der Norm. Dann ertastet Dr. Lema die Kindslage und hört mit einem Pinard (Hörrohr) die Herztöne des Kindes ab. Ein CTG ist nicht vorhanden. Dem Kind scheint es gut zu gehen. Schliesslich ertastet Dr. Lema den Muttermund von Blandina und stellt fest, dass er nun 8 cm weit geöffnet ist.

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Das Gebärzimmer

Kaum ist Dr. Lema mit den Untersuchungen fertig, folgt auch schon die nächste Wehe. Blandina ist eine Erstgebärende. Ihre Schwägerin spricht ihr auf Swahili gut zu und versucht sie etwas über die Wehen hinweg zu trösten. In Tansania wird ohne Schmerzmittel geboren. Es wird den Gebärenden nicht angeboten und sie fragen auch nicht danach. So leidet Blandina geduldig weiter und kämpft sich im 10 bis 15 Minutentakt von Wehe zu Wehe.

Entscheidungen müssen getroffen werden

Mittlerweile ist es Nachmittag geworden. Blandina’s Wehen kommen alle 10 Minuten. Der Muttermund hat sich leider nicht weiter geöffnet. Die junge Frau wirkt zunehmend erschöpft. Es geht nicht weiter. Schliesslich fällt Dr. Lema den Entschluss, eine Sectio zu machen. Der Anästhesist muss in Karatu angefordert werden, da Rothia noch keinen eigenen hat.

In der Zwischenzeit wird der Stromgenerator angestellt und der Operationssaal vorbereitet. Blandina hat Angst. Doch sie hat keine Kraft, um es weiter auf die natürliche Weise zu versuchen. Nachdem sie eine weitere Wehe überstanden hat, wird sie von ihrer Schwägerin und mir in Richtung Operationssaal begleitet. Vor dem Operationssaal wird sie vom Operations-Team in Empfang genommen.

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Der Operationssaal

Die unerwartete Wendung

Nachdme ich mich umgezogen habe, betrete ich den Operationssaal. Blandina liegt nackt und etwas verloren auf dem OP-Tisch. Ich gehe zu ihr und gebe ihr meine Hand. Sie umschliesst sie fest, als ob ihr meine Hand etwas Halt und Sicherheit gibt. Es folgt eine weitere Wehe. Ich muss Blandina festhalten, damit sie nicht vom OP-Tisch fällt. Die Wehen kommen jetzt alle 2 Minuten. Ich halte Blandina und streichle ihr über die Schulter, während sie leidet.

Schliesslich ist die Wehe überwunden und Blandina muss aufsitzen, damit der Anästhesist eine Spinalanästhesie legen kann. Während der Anästhesist die Nadel an Blandina’s Wirbelsäule platziert, bemerke ich, dass ihre Fruchtblase geplatzt ist. Der Anästhesist ist immer noch mit dem Legen der Spinalanästhesie beschäftigt, als Blandina eine heftige Presswehe überkommt. Der Anästhesist muss die Nadel ziehen. Blandina umklammert meinen Oberkörper während sie weiter presst. Und plötzlich ist da ein Köpfchen zwischen ihren Schenkeln sichtbar. Ich ermutige Blandina, weiter zu pressen. Dr. Lema steht bereit, um das Kind in Empfang zu nehmen. Blandina presst weiter, bis sie ihr Mädchen geboren hat. Dr. Lema legt es für einen kurzen Moment auf ihren Bauch und nabelt es ab. Das Mädchen weint mit einer vollen, warmen Stimme, Ich freue mich wahnsinnig, so wie ich es immer tue.

Dr. Lema bringt es zur Rea-Einheit. Dort trockne ich das Mädchen ab und befestige die Nabelklemme am Nabelstumpf. Anschliessend wickle ich sie in ein Tuch und beruhige sie. Es ist ein wiklich hübsches Mädchen mit ihren sanften Gesichtszügen und der kleinen Stubsnase. Ihre Haut ist noh hell, ihre Hände haben fast die selbe Hautfarbe wie meine. Dies wird aber nicht lange so bleiben.

Mit dem Mädchen auf dem Arm, mache ich mich auf den Weg zum Gebärzimmer. Dort lege ich sie auf die Waage. Sie wiegt 2600 Gramm. Ich wickle das Mädchen in das von Blandina mitgebrachte Tuch und übergebe sie der Schwägerin. Sie ist genau so gerührt wie ich und bedankt sich bei mir. Ich gehe wieder zurück zu Blandina in den Operationssaal.

Eine letzte Hürde für Blandina

Zurück im Op0erationssaal schaue ich Dr. Lema zu, wie er die Plazenta manuell von Blandina’s Uterus löst, da sie sich nicht selbständig gelöst hat. Dies ist ein scherzhafter Eingriff und Blandina wird deshalb in eine leichte Narkose gelegt. Die Plazenta kann vollständig entfernt werden.

Langsam kommt Blandina wieder zu sich. Schliesslich ist sie wach genug und kann auf das Wochenbett zu ihrer Tochter gebracht werden. Endlich ist der Zeiptunkt für Blandina’s ersten Stillversuch gekommmen. Ihre Mutter unterstützt sie dabei. Zuerst weint das Mädchen die Brust an, da es so hungrig ist. Doch dann beginnt es koordiniert zu trinken. Zufrieden verlasse ich das Zimmer.

Nach den schönen Momenten folgen die tragischen

Bereits während ich mich noch um Blandina und ihr Töchterchen gekümmert habe, wurd ich informiert, dass der Operationssaal für die schwangere Pauline vorbereitet wird. Ich habe sie bereits während der Routinekontrolle kennen gelernt.

Bei Pauline’s ungeborenen Kind stellte man eine erhöhte Herzfrequenz fest. Dies ist ein Zeichen dafür, dass das Kind unter der Geburt gestresst ist und etwas nicht stimmt.

Gespannt gehe ich zurück zum Operationssaal. Ich betrete ihn aber nicht mehr, da Dr. Lema bereits zum Schnitt ansetzt und ich nicht stören will. Durch die Glasscheibe der Türe habe ich aber eine gute Sicht. Ich sehe, wie Dr. Lema Paulina’s Bauch mit dem Skalpell öffnet. Er gfeift hinein und scheint das Kind zu psoitionieren oder herausziehen zu wollen. Es gibt wohl ein Problem. Nach mehreren Versuchen hält Dr. Lema einen Jungen in der Luft. Der Junge schreit nicht. Er bewegt sich auch nicht. Dr. Lema legt den leblosen Körper des Jungen auf die Rea-Einheit. Sr. Helena versucht noch, durch Stimulation und Absaugen der Atemwege, den Jungen zum Atmen zu bringen. Ihre Bemühungen bleiben jedoch erfolglos. Reanimiert wird nicht. Ratlos stehe ich vor der Glasscheibe und versuche zu verstehen, was sich auf der anderen Seite abspielt.

Später erklärt mir Dr. Lema, dass die Nableschnur mehrmals um den Hals des Kindes gewickelt war. Während es weiter in den Geburtskanal rutschte, zog sich die Nabelschnur immer enger um den Hals des Jungen. Schliesslich war die Durchblutung seines Kopfes nich mehr gegeben. Dies bedeutete den Hintod des Jungen.

Mit gemischten Gefühlen verlasse ich für heute die Gebärabteilung.

Eine besondere Ehre

Am nächsten Morgen führt mein Weg zuerst aufs Wochenbett. Ich will mich erkundigen, wie es den beiden Wöchnerinnnen Blandina und Pauline geht.

Zuerst gehe ich zu Pauline. Ihr Zimmer ist voll von Familienangehörigen. Alle trauern um den toten Jungen. Mit einem „Pole sana“ spreche ich Pauline und ihrer Familie mein Beileid aus. Die Grossmutter hält den toten Jungen, in einem Tuch eingewickelt, im Arm. Sie fragt mich, ob ich ihn sehen möchte. Ich möchte ihn sehen, um mich von ihm zu verabschieden.

Ich verlasse Pauline’s Zimmer und besuche ein Zimmer weiter Blandina und ihre Tochter. Blandina hat ihre Tochter zu sich ins Bett gelegt. in Tansania schlafen die Babies immer bei den Müttern im selben Bett.Blandina zeigt mir ihr Töchterchen. Sie ist immer noch so hübsch, wie ich si in Erinnerung hatte.

Blandina sagt etwas auf Swahili, was ich nicht verstehe. Ich hole eine tansanische Hebamme, welchem mir Bandina’s Worteübersetzt. Ich erfahre, dass mir Blandina die Ehre zukommen lässt, ihrer Tochter einen Namen zu geben. Ich bin sehr überrasch tund freu mich natürlich. Ich frage Blandina ber nochmals, ob sie sich das gut überlegt hat. Sie sagt, dass sie sich dies sehr wohl gut überlegt hat und sie möchte, dass ich ihrer Tochter einen Namen gebe.

Malaika – Engel, dieser swahilische Name kommt mir ganz spontan in den Sinn. Blandina lächelt mich an und meint, dass dies ein sehr schöner Name sei.

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Blandina und ihre Tochter Malaika

Das war ein ereignisreicher Tag auf der Gebärabteilung in Rhotia. Freud und Leid ist in meinem Beruf  manchmal wirklich sehr nahe beieinander. Das ist nicht nur in Tansania so.

 

 

 

 

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